Verwaltungs- und Verfassungsrecht
Subsidiär Schutzberechtigte in Niederösterreich erhalten Kernleistungen nach Grundversorgunggesetz
VfGH 28.06.2017, E 3297/2016: Subsidiär Schutzberechtigte haben in Niederösterreich nicht mehr Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, sondern auf die sogenannten „Kernleistungen“ nach dem Grundversorgungsgesetz.
Die Unterschiede im faktischen und im daraus abgeleiteten rechtlichen Status zwischen Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten reichen aus, um auch eine unterschiedliche Behandlung bei Sozialleistungen zu rechtfertigen. Bei steuerfinanzierten Leistungen besteht nach ständiger Rechtsprechung kein Schutz des Vertrauens auf unveränderten Fortbestand einer einmal gewährten Leistung.
Die untscheiedliche Behandlung gründet sich darauf, dass subsidiär Schutzberechtigte nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht erhalten, das auf ein Jahr befristet ist. Ihr Status ist „von vornherein eher von provisorischer Natur als dies bei Asylberechtigten im Allgemeinen der Fall ist.
Dem Gesetzgeber kommt daher ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, der auch die Frage betrifft, „ob, angesichts des Provisorialcharakters des durch subsidiären Schutz vermittelten vorübergehenden Aufenthaltsrechtes subsidiär Schutzberechtigter, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichen Leistungen nur im zwingend erforderlichen Umfang gewährt werden“.
Allerdings betont der Verfassungsgerichtshof auch, dass die Behörden im Falle eines entsprechenden Bedarfes die Leistungen auf jene Weise zu gewähren haben, die sicherstellt, dass für die Betroffenen nicht ein menschenunwürdiges Dasein im Sinne des Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention eintritt.
Der Beschwerdeführer hat einen Sachwalter und lebt mit seiner Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Früher hat er Mindestsicherung bezogen. Im August bzw. Dezember 2016 haben die Bezirkshauptmannschaft Melk und in der Folge das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einen weiteren Antrag dafür aber unter Hinweis auf die neue Gesetzeslage abgewiesen. Der Mann erhält nunmehr (geringere) Leistungen der Grundversorgung sowie – wegen seiner Behinderung – Pflegegeld.
Flughafen Wien, dritte Piste Entscheidung BVwG aufgehoben
VfGH 29.06.2017, E 875/2017, E 886/2017: Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gegen die vom Flughafen Wien-Schwechat geplante dritte Piste wurde als verfassungswidrig aufgehoben. Vor allem der Klimaschutz und der Bodenverbrauch wurde in einer verfassungswidrigen Weise in die Interessenabwägung einbezogen. Das BVwG, muss neuerlich entscheiden.
Das Bundesverwaltungsgericht habe die Rechtslage in seinem Erkenntnis in mehrfacher Hinsicht grob verkannt. Dieses gehäufte Verkennen der Rechtslage belastet die Entscheidung mit Willkür; es verletzt die Parteien im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz.
Der Verfassungsgerichtshof sieht Fehler vor allem bei der Auslegung der Staatszielbestimmung des umfassenden Umweltschutzes durch das Bundesverwaltungsgericht. Es ist zwar verfassungsrechtlich geboten, den Umweltschutz bei der Abwägung von Interessen für und gegen die Genehmigung eines Projekts einzubeziehen. Aber: Die im Gesetz genannten „sonstigen öffentlichen Interessen“, die bei der Abwägung gemäß Luftfahrtgesetz zu berücksichtigen sind, müssen aus dem Luftfahrtgesetz selbst ableitbar sein.
Eine Erweiterung dieser Interessen findet durch die Staatszielbestimmung nicht statt – weder auf Klimaschutz noch auf Bodenverbrauch. Auch ist aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit kein absoluter Vorrang von Umweltschutzinteressen ableitbar.
Das Verwaltungsgericht hat zudem die mit dem Projekt verbundenen Kohlendioxid-Emissionen fehlerhaft berechnet. Vereinfacht formuliert: Laut Feststellung eines gerichtlichen beeideten Sachverständigen wären nur die Emissionen einzurechnen, die während Start und Landung erfolgen („LTO-Emissionen“ – Landing and Take Off). Der Senat des BVwG habe hingegen in seiner Prognose für das Jahr 2025 Emissionen berücksichtigt, die während des gesamten Fluges anfallen („Cruise-Emissionen“).
Dazu kommt, dass sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Auswirkungen der Emissionen fälschlich auch auf Rechtsgrundlagen und internationale Abkommen wie das Kyoto-Protokoll beruft, die es in diesem Fall nicht hätte heranziehen dürfen. Auch das Klimaschutzziel in der niederösterreichischen Landesverfassung darf für die Auslegung des Luftfahrtgesetzes nicht herangezogen werden, weil dieses Ziel nur für den Wirkungsbereich des Landes anzuwenden ist.
Die schriftliche Ausfertigung wird den Verfahrensparteien nach Fertigstellung zugestellt und veröffentlicht.
https://www.vfgh.gv.at/
Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung beim VwG (§ 24 VwGVG)
VwGH 26.02.2016 Ra 2015/12/0042: Zu § 67 d AVG (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) vertrat der VwGH den Grundsatz, wonach ein wirksamer Verzicht auf die Durchführung einer auf Grund des Art. 47 Abs. 2 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung etwa dann anzunehmen ist, wenn ein rechtskundig vertretener Berufungswerber keinen Verhandlungsantrag iSd § 67 d Abs. 3 AVG stellt. Die zu § 67 d leg cit ergangene Rechtsprechung ist auch auf die Frage eines Verzichtes auf eine sonst gemäß Art. 6 EMRK gebotene mündliche Verhandlung vor dem VwG zu übertragen (vgl. E September 2015, Ra 2015/12/0012). Hat es die rechtskundige, wenn auch nicht anwaltlich, vertretene Beamtin unterlassen, in der Beschwerde einen Verhandlungsantrag zu stellen und auch konkrete Beweisanbote, wie etwa die Einvernahme von Zeugen, nicht erstattet, so hat das VwG in vertretbarer Weise von der amtswegigen Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen.
Vertrauensschutz: Die Unterfertigung eines Vertrags durch den Vizebürgermeister rechtfertigt das Vertrauen des Vertragspartners in dessen Vertretungsbefugnis, wenn das Verhalten des Bürgermeisters Anlass zur Annahme eines Verhinderungsfalls gab
OGH 29. 5. 2013, 2 Ob 173/12y: Im Jahr 2008 verpflichtete sich die Gemeinde vertraglich, die Kreuzungsstelle einer Zufahrtsstraße mit einer Schipiste in bestimmter Weise zu präparieren. Der Gemeindevorstand sprach sich mehrheitlich für die Vereinbarung aus. Die Vertragsurkunde wurde von einem Vorstandsmitglied und dem Vizebürgermeister, nicht aber vom Bürgermeister unterzeichnet. Eine derartige Vereinbarung ist deswegen gültig, weil man sich auch einer Gemeinde gegenüber auf das Prinzip des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand berufen kann (Anmerkung: im gegenständlichen Fall war der Bürgermeister bei der Vertragsunterzeichnung anwesend und ließ den Vizebürgermeister ohne Einwand die Vereinbarung unterschreiben. Unter diesen Umständen darf aufgrund des vom Bürgermeister begründeten Anscheins seiner Verhinderung (zB wegen Befangenheit) redlicherweise auf die Vertretungsbefugnis des Vizebürgermeisters vertraut werden. Die Vereinbarung ist daher gültig.
Ressortverteilung und Haftung des Geschäftsführers für Abgabenschulden
VwGH 23.05.2012, 2010/08/0193: Die Aufgabenverteilung unter Geschäftsführern kann selbst bei größter Spezialisierung nicht bewirken, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf das ihm zugeteilte Aufgabengebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr kümmern muss. Hinsichtlich der von den anderen Geschäftsführern unmittelbar betreuten Aufgabengebiete bleibt eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) und gegebenenfalls zur Schaffung von Abhilfe aufrecht. Besteht der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann muss sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Haftungsbegründend ist auch die vorwerfbare Unkenntnis von Pflichtverstößen des anderen Geschäftsführers (vgl. Erkenntnis vom 26. April 2006, Zl. 2005/08/0078).